Ausgehend von den physikalischen und chemischen Gesetzen muß der Sinn des Menschenlebens vor dem Tode erfüllt werden, da er an das Bewußtsein des Menschen gebunden ist. Ist dieses geschwunden, zersetzen sich die Zellen in die Bausteine, aus denen sie einst gebildet wurden, verwandelt sich organisches Material wieder in anorganisches. Somit ist auch kein seelisches Weiterleben mehr möglich.
Der Mensch ist unvollkommen; dieser Behauptung wird wahrscheinlich jeder zustimmen, der erlebt, wie sich mancher durch Alkohol, Drogen oder Arbeit zugrunde richtet. Auch Zank, Rachsucht, Bosheit, Neid, Gier und die vielen Kriege lassen den Menschen alles andere als vollkommen erscheinen, obwohl er – und das scheint zunächst als Widerspruch – als einziges Lebewesen auf Erden Bewußtsein besitzt und damit das höchstentwickelte ist.
Anscheinend läßt ihn in bestimmten Situationen die Vernunft im Stich. Bei der Suche nach dem Auslöser für solch selbstschädigendes oder widersinniges Handeln stieß Mathilde Ludendorff zunächst auf die intuitive Erkenntnis Schopenhauers, daß das Wesen des gesamten Weltalls Wille ist, den alle unbelebte Substanz ebenso zeigt wie jedes Lebewesen, der umso deutlicher zutage tritt, je höher das Lebewesen entwickelt ist. Dieser Wille äußert sich darin, daß er einen Stein seine Form, ein Lebewesen sein Leben erhalten lassen möchte. Beim Tier ist dieses Überleben-wollen durch Instinkte gesichert, also durch einen angeborenen Zwang gewährleistet. Es hat gar keine Wahl, anders zu handeln. Aber der Mensch hat eine Wahl, nämlich zum Guten wie zum Schlechten, zum Rettenden wie zum Schädigenden, zum Sinnvollen wie zum Blödsinnigen. Mit Hilfe der Vernunft kann er sich alle Folgen ausmalen, sie im Gedächtnis speichern und Rückschlüsse ziehen. Da er weiß, was auf ihn zukommt, versucht er so zu handeln, daß ihm das Erwartete nicht zu unangenehm wird. Sein Selbsterhaltungswille ist also an die Eigenschaft gebunden, Unangenehmes zu vermeiden und angenehme Lösungen zu suchen, auch wenn das auf Kosten der eigenen Gesundheit oder der eigenen Seele geschehen sollte. Der Mensch ist unvollkommen geworden.
Wenn Sie den „inneren Schweinehund“ kennen, dann wissen Sie, was gemeint ist!
Als „Lustmaximierung“ ist dieses Streben inzwischen auch von anderen Psychologen anerkannt. Mathilde Ludendorff spricht hier philosophisch vom gottverlassenen, unvollkommenen oder auch lustversklavten Selbsterhaltungswillen.
Dieser Eigenart des Selbsterhaltungswillens begegnen wir auf Schritt und Tritt.
Überlegen wir einmal, wann wir uns ärgern, Unmut empfinden oder schlechte Laune bekommen! Dann nämlich, wenn etwas nicht nach unseren Vorstellungen verlaufen ist, wir einen Tadel erhalten oder etwas verloren haben, also ein Unlusterleben hatten. Im Gegensatz dazu freuen wir uns, wenn etwas gelungen ist, oder es sich so abgespielt hat, wie wir es uns vorgestellt oder gewünscht haben. Auch Macht bereitet Lust und ist Auslöser für viele Taten. Macht erhält man nicht nur durch Reichtum, Einfluß und Wissen; auch Handlungen, die anderen Schaden zufügen, lösen angenehme Gefühle, Befriedigung oder Machtgefühle aus.