BiologieEthik

Stammzellforschung, therapeutisches und reproduktives Klonen

Mit dem Erkenntnisfortschritt in der Biotechnologie eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, in das Erbgut einzugreifen. Aber: Wo sind die sittlich-moralischen Grenzen? Wo darf und wo muß eingegriffen werden und in welchen Fällen ist dies verwerflich? Wir stellen hierzu Ausschnitte aus dem Buch von Dr. med. Gunther Duda: „Erbgutnutzung, Sittengesetz, Menschenwürde. Eine neue philosophisch-weltanschauliche Stellungnahme“, 2001. 49 S. vor.

© Sigrid Roßmann / www.pixelio.de

„Hieraus ergibt sich die „Heiligkeit aller Menschen“: „weil alle Menschen auf Erden Bewußtsein Gottes werden können, solang ihre Seele das Göttliche noch erlebt“. (s.o. S. 67)

Töten ist unsittlich, ist zu verbieten, selbst als vermeintlich abschreckende Todesstrafe. Doch kennt das Sittengesetz Ausnahmen. Mathilde Ludendorff nennt zwei: Die Notwehr1) und die Volksverteidigung. Beide sollen den Sinn des Lebens als vornehmste Aufgabe des Lebensschutzes hüten und bewahren. Deswegen setzt die Gotterkenntnis das Gebot: „So darfst du durch Töten nur dir und dem Volke in Todesnot Jenseitserleben schützen.“ (s.o. S. 76)2). (…) „Gilt dieses Gebot nun auch für das Töten embryonaler Stammzellen? Beispielsweise durch die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei welcher im Reagenzglas erzeugte Stammzellen auf Erbleiden untersucht werden, bevor sie in die Mutter eingepflanzt werden oder „verworfen“ werden? Die Tötung oder das Sterbenlassen von Genen, Zellen, Embryonen, Feten, Pflanzen und Tieren bedeutet selbstverständlich eine Vernichtung von Leben, aber eines Lebens das noch tief unbewußt (oder unterbewußt) ist und keineswegs mit dem geborenen oder erwachsenen Menschen gleichgesetzt werden sollte. (…). Es geht um das Abwägen der Werte! Hier hoffen weltweit Millionen kranker und hilfloser Menschen, vor Tod, qualvollen Leiden oder schweren Behinderungen bewahrt zu werden. Dort steht das religiöse Gebot [z.B. des Christentums: Du sollst nicht töten, Gott gibt das Leben und Gott nimmt das Leben] und das unter anderen Voraussetzungen erlassene Gesetz [Grundgesetz, Embyonenschutzgesetz], einige wenige Tage junge und überdies künstlich geschaffene embryonale Stammzellen schützen zu müssen. (…) Hans-Ulrich Jörges fragt deshalb in „Die Woche“ (2.2.2001) zu Recht: „Muß es bei der Embryonenforschung nicht, wie beim Schwangerschaftsabbruch, eine Güterabwägung geben? Ist es dem Staat nicht gerade umgekehrt ethisch untersagt, schwer Kranken die Aussicht auf Heilung zu verweigern?“

Würde die Gentechnik nicht genutzt, dann müßten die Leidenden sterben oder sich leblang weiter quälen. Und das meist nur wegen der überholten Glaubenssätze: „der Mensch darf Gott nicht ins Handwerk pfuschen“ oder gar Genschäden sind „gottgewollt“. (…)

Hubert Markl [Präsident der Max-Planck-Gesellschaft] hat in seiner Berliner Rede zum Willen der Natur oder Schöpfung Beachtenswertes mitgeteilt: „(…). Es darf daher sehr wohl angenommen werden, daß die vom Menschen und anderen Säugetieren bekannte Tatsache, daß sich nur ein Bruchteil befruchteter Eier tatsächlich im Uterus einnisten kann – beim Menschen wird berichtet, daß mehr als jede zweite Leibesfrucht durch spontanen Frühabort verloren geht, – schon von Natur aus dazu dient, um möglichst nur gesunde und voll entwicklungsfähige Keime zur Entwicklung kommen zu lassen.“

Die eigentliche ‚biologische Entscheidung‘ zur Menschwerdung fällt daher tatsächlich mit der Einnistung des Keimes in den Uterus, nicht schon mit der Befruchtung. Dies wird besonders deutlich daran, daß die spontan frühabortierenden Embryonen besonders häufig von genetischen Anomalien betroffen sind.“

Embryonale menschliche Stammzelle – [Abb. 1]
(…) Aber was ist nun die „unantastbare Würde des Menschen“ tatsächlich? Erkenntnisphilosophisch und seelenkundlich betrachtet können tief unbewußte Zellen, genauso Stammzellen, Menschenwürde noch nicht erleben und deshalb einfordern; sie kann und muß daher hier nicht geschützt werden. (…) Aus ihrer [M. Ludendorffs] Philosophie der Erziehung „Des Kindes Seele und der Eltern Amt“ (1954, S. 154 f.) erfährt man: (…) Noch vorher, ja, man kann sagen von Geburt an, können wir im Kinde jenes wertvolle Selbstbewußtsein, das wir Gottesstolz nannten, auftauchen sehen, und zwar um so auffälliger, als er in so krassem Gegensatz zu der gänzlichen Hilflosigkeit des Kindes steht und noch in keiner Weise durch die Vernunfterkenntnis der eigenen Abhängigkeit von der Güte und Fürsorge der Umwelt irgendwie eingedämmt oder verdrängt ist. Der Gottesstolz, der freilich erst nach Erkennen des hehren Amtes im einzelnen Menschen zur vollen klaren Bewußtheit gelangt und den wir als Würde, gepaart mit Verantwortung, zu beschreiben suchten, ist im Kinde als ein Gefühl des Anrechts auf Beachtung seiner Wünsche am auffälligsten bemerkbar.“
(…)

„PID, therapeutisches Klonen, auch unter Einschluß der Gentherapie, sind Ausdruck der Hilfsbereitschaft gegenüber kranken Menschen und daher sittlich. Sie leisten das, was der einzelne Kranke in gleicher Lage erfahren möchte: Gesundwerden, unabhängig und selbstständig sein, die Werte wie Würde und Verantwortung leben können. Bei gesicherten Genschäden entscheiden die Eltern in Freiheit [es darf selbstverständlich keinen Zwang für oder gegen eine bestimmte Entscheidung geben!], wie sie es meist heute schon im eigenen Interesse tun. (…)

Auch die Vervielfältigung von Stammzellen zur Heilung kranker Organe oder Erbleiden gehört zur sittlichen Lebensschutzpflicht des Staates, wiederum vorausgesetzt, sie hält was sie verspricht.

Unsittlich, ja Frevel bleibt dagegen die willkürliche Veränderung oder „Verbesserung“ des gesunden Menschen. Vom Schöpfungssinn her gesehen, ist er nämlich schon „vollkommen“, weil seine Unvollkommenheit, bedingt durch die Willensfreiheit, die Voraussetzung seiner persönlichen seelischen-moralischen Entwicklung bedeutet. Reproduktives Klonen mit gentechnisch verändertem Erbgut eines anlagemäßig einzigartigen, gesunden Menschen als vermeintliche „Verbesserung“ hieße das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Nachfahren mißachten, wäre also ihre Vergewaltigung und nicht zuletzt hochgradig körperlich-geistige Gefährdung. (…)

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik im Juli 2010 ergibt sich aus rechtlicher Sicht folgende neue Lage:

Die Präimplantationsdiagnostik ist dann erlaubt, wenn sie an sogenannten Blastozysten erfolgt, d.h. an Zellen, die nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent sind. Pluripotente Zellen können sich nicht mehr zu einem vollständigen Menschen entwickeln, sondern nur noch zu verschiedenen Organen. Diesem Urteil war die Selbstanzeige eines Arztes vorausgegangen. Er war vom Berliner Landgericht im Mai 2009 freigesprochen worden, mit der Begründung, wenn eine solche Präimplantationsdiagnostik an Blastozysten mit dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft und zum Ausschluß von drohenden Erbkrankheiten durchgeführt werde, verstoße sie nicht gegen das Embryonenschutzgesetz. Die Staatsanwaltschaft war daraufhin in Revision gegangen, der BGH jedoch hatte das Urteil bestätigt. „Damit wurde die PID bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen (also mit dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft als Untersuchung von Zellen im Blastozystenstadium zum Ausschluss schwerwiegender genetischer Erkrankungen) für straffrei erklärt.“

Fußnoten:

1) Zu ihr gehören auch die Gewaltopfer- und medizinischen Indikationen zum Schwangerschaftsabbruch.

2) Das schließt eindeutig das befürchtete Töten, zum Beispiel behinderter, ohnmächtiger, komatöser, geisteskranker oder altersschwacher Menschen aus.


Quellen:

Auszüge aus der Schrift: Dr. med. Gunther Duda: „Erbgutnutzung, Sittengesetz, Menschenwürde. Eine neue philosophisch-weltanschauliche Stellungnahme“ – Verlag Hohe Warte, 2001. 49 S.

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften – Link


Abbildungen:

Abb. 01 Von Id711 in der Wikipedia auf Englisch – Übertragen aus en.wikipedia nach Commons durch Sreejithk2000 mithilfe des CommonsHelper., Gemeinfrei, Link

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